Die Nacht kurz vor den Wäldern

Hohenloher Tagblatt


Da steht einer und zittert. Da steht einer in einer Scheuer auf einem Stein und zittert. Da steht einer an einem Sommerabend in Feuchtwangen und zittert, weil es kühl ist und seine Kleider naß sind.

Sie sind naß, weil Ulrich Westermann […] auf einem kalten Stein steht und über ihm ein Eisblock hängt, von dem es beständig heruntertropft. Auf seinen kahlen Schädel, auf sein T-Shirt, auf seine Hose. Es ist eine beklemmende, geradezu archaische Situation. Sie erinnert an Folter, steter Tropfen höhlt den Stein, macht den Menschen naß und wahnsinnig.

Ulrich Westermann zittert eine Stunde lang und man weiß nie so recht, ob er zittert, weil er das so will, oder ob er schlicht und einfach friert. […]

Westermann ist ein […] Fremder. Als solcher spricht er einen anderen Fremden an, nennt ihn „Kamerad”. Will dem klarmachen, dass er stark ist und unabhängig und sofort zuschlägt, falls das nötig sein sollte. Aber nach und nach kommt heraus, dass das Gegenteil der Fall ist. Der Fremde sucht Anschluss, will Nähe, will ein Bett in einem Zimmer für die Nacht, will nicht länger im Regen stehen. Da steht kein Starker, kein Entschiedener, sondern ein Gebrochener, ein Zauderer und Zögerer.

Ulrich Westermann steht da, die geballten Fäuste in den Hosentaschen, zitternd. Ein Mensch kurz vor der Explosion. Wobei Implosion eigentlich das präzisere Wort ist, denn da ist einer kurz vor dem Zusammenbruch. Westermann spielt diesen Fremden, diesen Einsamen, als wäre der in einen Schraubstock gepresst. Sein so minimalistisches wie konzentriertes Spiel lässt einem den Atem stocken, lässt einen die Kälte fühlen, die diesem Fremden so Angst macht.

Ein starker Auftritt.

ANDREAS HARTHAN